Auch die Studienfahrten nach Berlin haben unter Corona gelitten. Während die angehenden Abiturienten Ende Februar 2020 noch Berlin besuchen durften, mussten die Fahrten der jeweiligen Stufe 10 vor den Faschingsferien 2021 und 2022 entfallen. Die Jahrgangsstufe 1 wird ihre Fahrt vor den Pfingstferien 2022 nachholen.
Die Fahrt nach Berlin ist geprägt von historischen und politischen Aspekten. Geschichtlich soll die deutsche Teilung und der Unrechtsstaat DDR thematisiert werden. In Berlin werden sowohl im Stasi-Gefängnisses in Hohenschönhausen (im Nordosten der Hauptstadt) als auch im Notaufnahmelager Marienfelde im Südwesten Berlins zwei Gruppen Führungen bekommen. Dabei wird es aber immer unwahrscheinlicher, dass alle Schüler*innen mit Zeitzeugen ins Gespräch kommen können. Immer öfters referieren Historiker oder interessierte Bürger. Deshalb freuen wir uns, dass seit Jahren mit Frau Konstanze Helber eine Zeitzeugin ans Gymnasium Unterrieden kommt, die den Schüler*innen aus erster Hand über ihre Erfahrungen mit dem Unrechtsstaat DDR erzählt.
Am Mittwoch, dem 11.05.2022, fand für die Stufen 10 und 11 das Zeitzeugengespräch in der Mensa statt. Frau Helber berichtete 90 Minuten über ihr erschwertes Leben in der Deutsch Demokratischen Republik und über ihren Fluchtversuch in den Westen und ihren Freikauf durch die BRD.
Kritische Fragen zur Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 in der CCSR brachten sie in den Focus des Staates. Im Sozialismus waren nicht alle Menschen gleich – manche waren eben gleicher.
Nach vielerlei Erschwernissen beginnt Frau Helber eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester. Sie nutzte das verdiente Geld, um sich mit einem Strandurlaub zu belohnen. Bulgarien war das Ziel, dem sie "zugeteilt" wurde. Dort lernte sie einen Mann aus Westdeutschland kennen. Die beiden kamen sich näher und verliebten sich. Da ihre Ausreiseanträge abgelehnt worden, plante sie einen Fluchtversuch in den Westen. Dieser wurde von einem Stasi-Spitzel in der Organisation verraten.
Frau Helber kam nach der Stasi-Untersuchungshaft in das Frauenzuchthaus Hoheneck. Mit 48 Frauen in zwei Großraum-Zellen und zwei Toiletten teilt sie ihre „Herberge“. „Es gab keine Intimität", sagte Helber. Gearbeitet wird in drei Schichten, also geht es manchmal schon um vier Uhr morgens los.
Was für Helber besonders schlimm war: Sie musste Bettwäsche für den Westen nähen – das Land, in das sie wollte.
Nachdem Helber freigekauft worden war und nach Baden-Württemberg zu ihrem späteren Mann gekommen war, sprach sie 25 Jahre lang nur mit ihren engsten Familienmitgliedern über ihre Erlebnisse. Das änderte sich nach einem Besuch des geschlossenen Frauengefängnisses Hoheneck im Jahr 2004. Nun wollte sie ihre Geschichte aufarbeiten und jungen Menschen eine Botschaft weitergeben." Gerade die aktuellen Bilder aus der Ukraine zeigen, dass Unrecht weiterhin tagtäglich auf der Welt passiere und man nicht wegschauen dürfe.
Seit 3 Jahren ist Frau Helber Vorsitzende im „Forum für politisch verfolgte und inhaftierte Frauen der SBZ/SED-Diktatur e.V“ aktiv tätig, zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts.
Wir danken Frau Helber für ihre Bereitschaft und ihre eindrücklichen Schilderungen.
Benjamin Künstle, 29.05.2022